Ariane Ludwig vom Goethe- und Schiller-Archiv: „Man muss ständig mit Überraschungen rechnen“
Von Gesine Heger und Katharina Zimmermann.
Für ein Praktikum kam Ariane Ludwig während ihres Studiums nach Weimar – und seitdem hat die Stadt sie nicht mehr losgelassen. Auch die Arbeit bei der Klassik Stiftung Weimar hat sie damals so begeistert, dass sie beschloss, von ihrem Studienort Mainz nach Weimar zu ziehen.
Heute ist sie mitverantwortlich für die Edition von Goethes Tagebüchern, von der die ersten acht Doppelbände bereits erschienen sind; der neunte ist gerade in Arbeit. Goethe hat über einen Zeitraum von 57 Jahre seines Lebens Tagebuch geschrieben – da kommt einiges an Texten zusammen, die jetzt von Ludwig und ihren Kolleg*innen historisch-kritisch herausgegeben und kommentiert werden.
Kein verstaubtes Archiv
Im Interview sitzt Ariane Ludwig nicht in Münster, sondern vor Ort in Weimar. Ebenso wie der Germanistik-im-Beruf-Workshop in diesem Sommersemester findet das Interview pandemiebedingt digital statt. Dafür kann Ludwig den Teilnehmer*innen aber den tollen Blick aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers zeigen: Über den Dächern von Weimar strahlt die Sonne. Während des Gesprächs sitzt die Literaturwissenschaftlerin vor einer großen Bücherwand – in diesen Tagen in den Videokonferenzen nichts Ungewöhnliches. Die vielen gleichfarbigen und gleichförmigen Bücher, die auf größere Ausgaben hinweisen, fallen sofort auf. Sind das vielleicht die bereits herausgegebenen Bände von Goethes Tagebüchern? Ja, das sind die großen Bücher hinten rechts. Aber auch die Münchner Goethe-Ausgabe, an deren Registerband Ludwig mitgearbeitet hat, befindet sich links hinter ihr. Nach einem dunklen Archiv voller verstaubter Papiere sieht das jedenfalls nicht aus.
„Mein Hauptarbeitsort ist das Goethe- und Schiller-Archiv“, erzählt sie. Dort wurde in den vergangenen Jahren durch einen unterirdischen Anbau noch viel mehr Platz für all die wertvollen Handschriften geschaffen. Damit die alten Manuskripte möglichst lange erhalten bleiben, wurde das Archiv mit modernster Klimatechnik ausgestattet. An den Texten gearbeitet wird dort unten jedoch nicht: „Um die Originale zu schonen, arbeiten wir so oft wir können mit Digitalisaten. Oft ist aber ein Blick auf die Handschriften nötig, die werden dann in den hellen Lesesaal geliefert. Vieles wird einem nur bei der Betrachtung des Originals klar.“
Viele glückliche Zufälle – und frühe Begeisterung
Bereits während des Studiums der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft kam Ludwig häufig und intensiv mit Goethes Werken in Kontakt. Die vielen Seminare, die sie bei ihrem späteren Doktorvater Horst Fritz besuchte, vertieften ihre Begeisterung für Goethe. Auf eigene Faust fragte sie dann nach einem Praktikumsplatz bei der Klassik Stiftung Weimar – und wurde angenommen. Dort konnte sie schon einen ersten Einblick in die Arbeit der Stiftung erlangen.
Für die Erläuterung der Texte braucht es oftmals einen langen Atem: Die meisten von Goethes Tagebucheinträgen sind sehr knapp formuliert, deshalb muss ganz viel kommentiert werden. „Manchmal denkt man, das ist eine einfach zu kommentierende Stelle, das geht ganz schnell. Aber der Teufel steckt natürlich wie so oft im Detail. Eigentlich muss man ständig mit Überraschungen rechnen“, sagt Ludwig lachend.
Dabei kommt es oft vor, dass sie an einer Textstelle nicht weiterkommt, weil sie z. B. auf Dokumente wartet, die sie bei anderen Institutionen erbten. Dann geht es eben weiter zur nächsten Baustelle. Und auch vermeintlich sofort Verständliches erschließt sich nicht immer so leicht: „Man braucht ein historisches Sprachbewusstsein und die Erkenntnis, dass sich Sprache ständig verändert. Wenn Goethe beispielsweise das Wort ‚umständlich‘ verwendet, dann ist das nicht negativ gemeint, sondern heißt einfach ‚ausführlich‘.“ Bei der Arbeit an den Texten sei deshalb wichtig, betont Ludwig, es mit Goethe zu halten und bis zum Lebensende neugierig zu bleiben.
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