„Facelifting“ der Gebrüder Grimm: Volker Harm und das Projekt „Wortgeschichte Digital“
Von Lynn Richter.
Das Gespräch mit Volker Harm findet, wie so vieles, pandemiebedingt digital statt. Lediglich sein Gesicht und ein kleiner Ausschnitt des Zimmers sind an diesem Nachmittag durch die Kamera zu erkennen. „Zwei berufliche Stationen waren in meinem Leben besonders wichtig“, erzählt der Leiter des Projekts „Wortgeschichte digital“ mit ruhiger Stimme. „Die erste war ‚Das Deutsche Wörterbuch‘ von Jacob und Wilhelm Grimm. Fünf Jahre lang habe ich die Arbeitsstelle geleitet, deren Aufgabe die Neubearbeitung des Wörterbuchs war.“ Die zweite wichtige Station beginnt für Harm 2019, als er die Leitung einer anderen Arbeitsstelle übernimmt, des Projekts „Wortgeschichte digital“.
„Zettel’s Traum“, digital
Die Neubearbeitung des „Deutschen Wörterbuchs“ (2DWB) vergleicht Harm mit einem „Facelifting“ der Grimms . Da die Arbeit daran zu umfangreich wurde, beendeten die Göttinger Akademie der Wissenschaften und die Berlin-Brandenburgische Akademie den Versuch und starteten das Projekt „Wortgeschichte digital“. „Das ist ein Teilprojekt des Zentrums für digitale Lexikografie der deutschen Sprache, in dem wir uns in erster Linie um die Bedeutungsgeschichte deutscher Wörter kümmern, während im Grimm´schen Wörterbuch die Belege im Vordergrund stehen“, erläutert Harm.
„Wortgeschichte digital“ ist ein Projekt mit einer Laufzeit von bis zu 25 Jahren, es befindet sich im Moment allerdings noch in der Aufbauphase, die erst 2023 endet. Insgesamt fünf Lexikograf*innen recherchieren in Wörterbüchern, sammeln Belege und formulieren Arbeitshypothesen. Nach der Vorarbeit wird die Wortgeschichte geschrieben, deren Qualität in der Redaktionsphase geprüft wird. „Die gemeinsame Arbeit im Redaktionsteam ist sehr wichtig“, betont Harm, „es dauert nur, bis man sich eingespielt hat. Die Qualität der Ergebnisse lässt sich jedoch im Team verbessern.“ Erleichtert wird die Arbeit durch das Redaktionssystem „Zettel’s Traum“, eine Art digitaler Zettelkasten, in dem Belege aus verschiedenen Korpora gesammelt werden. „Das ‚Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache‘ ist zwar unser Kernkorpus, aber auch Google Books ist eine wichtige Quelle“, gibt Harm lächelnd zu.
Programmierfähigkeiten und detektivischer Spürsinn sind gefragt
Wer genau die „Wortgeschichte digital“ nutzt, ist letztendlich unklar. Wie bei vielen akademischen Projekten fehlen die Mittel für Nutzungsstudien. „Es ist wie das Schießen mit einer Schrotflinte. Man weiß nicht, wo es ankommt“, erläutert Harm die Situation. Einerseits soll das Projekt wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, andererseits sollen sich auch sprachbegeisterte Nicht-Germanist*innen dafür interessieren. Deshalb werden die Inhalte möglichst eingängig dargestellt.
Für die Mitarbeit am Projekt ist ein Masterabschluss in einem geisteswissenschaftlichen Fach, vorzugsweise Germanistik oder Sprachwissenschaften, notwendig. Harm selbst hat in Marburg Deutsche Sprache und Literatur studiert. Ebenfalls vorteilhaft für die Arbeit an Wörterbüchern sind gute Fremdsprachenkenntnisse, da viele deutsche Wörter ursprünglich aus anderen Sprachen entlehnt wurden. „Besonders Programmierfähigkeiten sind Gold wert, denn für die Online-Publikationen wird die Auszeichnungssprache XML verwendet. Als Lexikograf*in ist es wichtig, sich für Dinge zu interessieren, die für den Großteil der Menschheit nebensächlich sind“, sagt Harm mit einem Lächeln und ergänzt: „Man braucht detektivisches Gespür für die Recherche nach Belegen. Zudem sollte man sich schnell in ein Thema einarbeiten können – und wenn man nicht weiterkommt, muss man eben auch lernen loszulassen.“
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