“Von der Verbvalenz zur Virusvariante”: NDR-Redakteurin Korinna Hennig im Interview

Im Interview spricht Korinna Hennig über ihren Weg vom Germanistikstudium zum NDR (Foto: Carsten Vogel).

Von Charlotte Adler, Sina Jeurink und Frederike Lange.

Korinna Hennig hat Germanistik, Geschichte und Journalistik studiert und arbeitet heute als Wissenschaftsredakteurin beim Norddeutschen Rundfunk. Bekannt wurde sie 2020 mit dem Podcast Coronavirus-Update, für den sie zusammen mit Beke Schulmann (NDR), Christian Drosten (Virologe) und Sandra Ciesek (Medizinische Virologin) den Grimme Online Award sowie den Georg von Holtzbrinck Preis erhielt. Im Interview spricht sie über die Arbeit im Team, die “Faszination für Dinge, die sich neu ergeben” und Sprache als Handwerkszeug. 

Wie sind Sie zum NDR gekommen? 

Korinna Hennig: Über Umwege. Schon im Studium habe ich schnell gemerkt, dass man das journalistische Arbeiten vor allem in der Praxis lernt, weshalb ich den langen Weg der Praktika gewählt habe. Das hat sehr geholfen, um in verschiedene Medien reinzuschnuppern. Mit diesen Erfahrungen konnte ich mich als fest freie Mitarbeiterin bei NDR Info bewerben. Dort war ich erst in der Politik- und Kulturredaktion, später dann als Redakteurin für Wissenschaft und Bildung tätig.

Wie ist Ihr Interesse an der Wissenschaftsredaktion entstanden? 

Hennig: Ich fand wissenschaftliches Arbeiten schon im Studium sehr spannend und habe auch über eine Promotion nachgedacht. Für meine Magisterarbeit habe ich sogar meine Zimmerwand mit Texten tapeziert, um Bruchstücke meiner Forschung möglichst anschaulich zusammenzusetzen – ein bisschen so wie im Fernsehkrimi. Am Wissenschaftsjournalismus gefällt mir, dass immer wieder Dinge vorkommen, von denen ich vorher noch nie gehört habe – bei mir ist das quasi wie von der Verbvalenz zur Virusvariante (lacht). Im Kulturbereich dagegen gilt oft “same same but different”. 

Wann haben Sie entschieden, beim Radio zu bleiben? 

Hennig: Früh! Schon bei einem meiner ersten Praktika habe ich gemerkt, dass ich es schön finde, mit der Stimme zu arbeiten. Ich lese gerne vor und bin fasziniert von der gesprochenen Sprache. Außerdem bin ich ein Fan von abwechslungsreicher Arbeit mit individuellem Spielraum. Diese Möglichkeit ist ein riesiger Vorteil beim Radio – im Vergleich zum Fernsehen, wo mich der hohe Produktionsaufwand abgeschreckt hat. 

Die ersten Aufnahmen waren bestimmt aufregend. Wie bereitet man sich da am besten vor?

Hennig: Bei den ersten Live-Auftritten bin ich tausend Tode gestorben. Ein erfahrener Reporter hat mir damals den Tipp gegeben, kurz vor der Übertragung “Ich kann, ich will, ich muss” zu sagen. Und siehe da – es funktioniert wirklich (lacht). Trotzdem aber gilt: Aufregung schützt davor, unaufmerksam zu werden.  Außerdem ist Sprechtraining eine große Hilfe. Ich selbst habe schon beim Privatfunk in Hamburg angefangen, mich mit Betonung, Stimmbildung und Co. zu beschäftigen. 

Stichwort Verantwortung – wollten Sie mit dem „CoronavirusUpdate“ bewusst Ihre gesellschaftliche Verantwortung als Redakteurin bei einem öffentlich-rechtlichen Sender wahrnehmen?

Hennig: So richtig bewusst ist mir das mit Beginn der Corona-Pandemie geworden. Da haben wir gemerkt, wir müssen uns  darum kümmern. Selbstverständlich sollte man sich nicht überschätzen und denken: Die Welt geht unter, wenn ich das jetzt nicht mache. Ich bin nicht der Mann am roten Knopf im Atomkraftwerk. Trotzdem kam da der Gedanke auf, dass wir mit dem „CoronavirusUpdate“-Podcast unseren kleinen Teil dazu beitragen können, anderen zu helfen.

Hatten Sie da überhaupt noch Zeit für andere Projekte?

Hennig: Anfangs haben wir mehrere Wochen lang täglich produziert, irgendwann nur noch wöchentlich. Die letzten Monate gab es den Podcast nur noch alle zwei Wochen. Inzwischen kann ich mich auch mal wieder in Ruhe mit anderen Themen beschäftigen.

Wie viel Arbeitszeit nimmt denn die Vorbereitung und Aufnahme einer Folge des Podcasts in Anspruch?

Hennig: Weil wir für den Podcast viele Studien lesen, brauchen wir für die Vorbereitung einer Folge schon mehrere Tage. Die Aufnahme selbst dauert meistens zwei Stunden und wird im Anschluss noch geschnitten. Das ist ein Aufwand, der nicht bei jedem Interview-Podcast betrieben werden kann. Aufgrund so vieler Hörer:innen haben wir als Team mehr Arbeit als üblich reingesteckt.

Das Radio zeichnet sich eher durch kurze Beiträge aus. War es dann eine große Herausforderung, die erste Folge des “Coronavirus Updates” aufzunehmen?

Hennig: Nein – ganz im Gegenteil, der Podcast war ein Geschenk. Am Anfang wollten wir eigentlich nur 10-15minütige Folgen machen, die erste Folge ist quasi aus Versehen 30 Minuten lang geworden. Beim Thema Corona gibt es eben eine Menge Klärungsbedarf. Und das Schöne am Podcast ist ja, dass es keine vorgegebene Sendezeit gibt. Somit ist die Arbeit ungezwungener und freier als bei klassischen programmgebundenen Beiträgen.  

Bekommt man da nicht selbst auch mal die Krise, wenn es immer um das Thema Corona geht?

Hennig: Eine ganze Zeit lang war es nicht so. Ich bin gar nicht dazu gekommen, die Pandemie als bedrohlich und beklemmend zu empfinden, weil ich immer eine Sachbrille aufhatte. In diesem Sinne hat mich die Arbeit auch geschützt. Irgendwann gibt es dann aber doch einen Corona-Überdruss, weil ich ständig Whatsapp-Nachrichten mit diesen Themen bekommen habe. 

Corona ist ein breit diskutiertes Thema in der Gesellschaft. Gab es viel Kritik an dem Podcast?

Hennig: Insgesamt hat der NDR wahnsinnig viele Mails mit positivem Feedback bekommen. Kritik bis hin zur Hate Speech haben eher unsere Gesprächspartner:innen Christian Drosten oder Sandra Ciesek abgekriegt. Aber auch ich musste lernen, mit harter Kritik umzugehen und dass es in so einem Format nicht immer nur um journalistische Distanz geht. Wenn sich ein Gast bereit erklärt, regelmäßig mit mir zu sprechen, habe ich eine besondere Mitverantwortung  für die Inhalte.

Der Podcast hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Grimme Online Award in der Kategorie “Information”. Hat das Ihre Arbeit verändert?

Hennig: Ja, das hat es. In aktuellen Redaktionen  galten viele wissenschaftliche Themen – auch wenn sie mit einem so großen Thema wie dem Klimawandel zu tun haben – oft als zu kompliziert und wurden deshalb als Nischenprodukt angesehen. Durch den Podcast ist der Gedanke, man müsse für die Hörer:innen immer alles ganz einfach machen, ein bisschen raus aus den Köpfen.

Wie wichtig schätzen Sie Podcasts und Online-Präsenz in der Zukunft fürs Radio ein?

Hennig: Ich selbst gucke kaum mehr lineares Unterhaltungsfernsehen, sondern schaue meine Serien dann an, wann ich es möchte. Das hat im Audio-Bereich inzwischen auch stark zugenommen. Das lineare Radio wird aber bleiben, weil es wichtig für die tagesaktuelle Information ist, die man nebenbei hören kann. Online-Artikel zum Beispiel kann ich nicht einfach beim Fahrradfahren oder Kochen lesen.

Wie hat das Germanistikstudium Sie auf Ihren Beruf vorbereitet?

Hennig: Man bekommt im Germanistikstudium einen analytischen Blick für Sprache und Texte. Das hilft einem ungemein bei der journalistischen Arbeit. Man kann dann besser einschätzen, wie man etwas rüberbringt. Und es hilft, besser schreiben zu können. 

Ihre Eltern haben ebenfalls Germanistik studiert. Waren sie ein Vorbild?

Hennig: Auf jeden Fall habe ich den Spaß an der Sprache von meinen Eltern. Zuhause haben wir uns oft über witzige Dinge ausgetauscht, die uns im Radio aufgefallen sind. Den Weg in Richtung Journalismus bin ich aber alleine gegangen.

Was raten Sie Studierenden der Germanistik, die sich für das Berufsfeld Radio interessieren?

Hennig: Praktika sind wichtig, aber dabei sollte man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Umfragen beispielsweise sind eine sehr beliebte Aufgabe für Praktikant:innen. Ich persönlich finde Umfragen langweilig, aber da muss man einfach durch. 

Grundsätzlich sollte man sich rechtzeitig überlegen: Wo genau möchte ich hin? Welches Ressort interessiert mich? Dann gehen auch unbeliebte Aufgaben leichter von der Hand.

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