Autorin Karosh Taha im Interview: „Ich möchte Sprache biegen und brechen“

Die Romanautorin Karosh Taha spricht über ihren Beruf, das Schreiben und ihr nächstes Buch (Foto: Carsten Vogel).

Von Sandra Dörnbach und Madeline Hunfeld.

Zwei Romane hat Karosh Taha bereits geschrieben und dafür zahlreiche Preise erhalten, zuletzt die Alfred Döblin-Medaille. Im Interview spricht die im Irak geborene und in Essen lebende Autorin über das Schreiben, die Literatur und den Schriftsteller*innenberuf.

Was hat Sie dazu bewogen, mit dem literarischen Schreiben zu beginnen?

Karosh Taha: Zum Schreiben bin ich durch meine Grundschullehrerin gekommen. Sie hat mir gesagt, ich solle mehr lesen, um mein Deutsch zu verbessern. Deshalb habe ich anfangs kurze Erzählungen gelesen, die mich an die Gute-Nacht-Geschichten meiner Mutter erinnert haben. Als ich älter wurde, kaufte ich mir günstige Bücher bei „Woolworth“ – die konnte ich mir leisten. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass ich auch selbst schreiben möchte.

Und wie wurde aus dem Schreiben ein Beruf?

Taha: Das ist nicht sofort passiert. Nach dem Abitur habe ich Anglistik und Geschichte auf Lehramt studiert. Als Arbeiter*innenkind war es mir einfach wichtig, mich beruflich abzusichern. Trotzdem hat mich das literarische Schreiben während meines Studiums begleitet. Ich habe viel über das Schreiben auf einer Website gelernt, auf der man eigene Kurzgeschichten veröffentlichen und Erzählungen anderer Autor*innen lesen konnte. Nach dem Referendariat habe ich mich bei einer Agentur beworben, die mich bei der Veröffentlichung meines ersten Romans unterstützt hat. Mittlerweile bin ich ausschließlich als freischaffende Schriftstellerin tätig.

Wie würden Sie den Autor*innenberuf beschreiben?  

Taha: Als Autor*in kann man nicht streng unterscheiden, was Arbeit ist und was nicht. Schreiben ist ein Prozess, der einen im Alltag ständig begleitet und beschäftigt. Wenn mir eine Idee kommt, dann schreibe ich sie auf, egal wann oder wo. Das kann anstrengend, aber auch unglaublich inspirierend sein. Das Hauptproblem ist der finanzielle Aspekt. Ich stehe oft vor der Entscheidung, entweder kurzfristig Geld mit Lesungen verdienen zu können oder die Zeit zu nutzen, an einem neuen Roman zu schreiben.

Was ist für Sie das Besondere am Schreiben?

Taha: Beim Schreiben möchte ich das Erzählen neu entdecken und Sprache anders denken. Deshalb ist es ein sehr großes Kompliment, wenn mir jemand sagt, dass mein neuer Roman anders klingt als der vorherige. In der Grundschule sollte ich an meinem Deutsch arbeiten – nun will ich nicht mehr mein Deutsch, sondern das Deutsche allgemein verändern. Ich möchte Sprache biegen, brechen, verformen und formen.

Haben Sie ein Beispiel für ein solches Biegen und Brechen?

Taha: Die meisten Bücher starten bei einem Punkt A und enden bei einem Punkt B. Ich frage mich immer wieder, was passieren würde, wenn man von A nicht nach B gelangt oder wenn B der Anfang wäre. Meine Intention ist es, Dinge zusammenzubringen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören. Außerdem nutze ich Gefühle als Material. Ein Wort, mit dem ich kein Gefühl verbinde, verwende ich nicht. Daher benutze ich auch keine deutschen Sprichwörter, denn mit ihnen bin ich nicht aufgewachsen. Sie bedeuten mir schlichtweg nichts.

Lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit auch von anderen künstlerischen Bereichen, z.B. der bildenden Kunst, inspirieren?

Taha: Manchmal schon. Ich habe vor kurzem ein Gemälde von Magritte gesehen, auf dem eine Frau abgebildet war. Ich habe das Bild einfach mal in alle Richtungen gedreht. Auf der einen Seite schwimmt die Frau, auf der anderen Seite fliegt sie, und wieder auf einer anderen Seite fällt sie. Das Bild ist aus allen Richtungen „lesbar“. Ich dachte, dass es doch cool wäre, eine Geschichte zu erzählen, die man aus allen Richtungen lesen kann.

Ihr Roman Im Bauch der Königin ist ein sogenanntes Wende-Buch, weil es zwei Geschichten erzählt, bei denen es egal ist, wo man anfängt, oder? 

Taha: Ja, man kann anfangen, wo man möchte. Genau darin besteht auch die Freiheit. In der ersten Auflage hat der Verlag ein Lesebändchen eingefügt, sodass wahrscheinlich viele Leser*innen bei derselben Geschichte angefangen haben. Für sie war das eine Vorgabe, an der sie sich orientieren konnten. Das widerspricht jedoch meinen Schreibzielen. Mein Roman soll lediglich ein Angebot machen, aber keine „richtige“ Lesart aufdrängen. Überhaupt verfolge ich mit meinen Texten keine feste Agenda.

Was würden Sie ganz allgemein Leuten raten, die auch Literatur schreiben wollen?

Taha: Habt keine Angst und fangt einfach an! Zweifel sollten erst kommen, nachdem man einen Satz geschrieben hat, vorher blockieren sie nur. Literatur entsteht schrittweise und kann sich auf jeder Seite wieder verändern. Ob ich einen Roman oder eine Kurzgeschichte schreibe, weiß ich oft vorher nicht einmal. Manchmal gehen meine Figuren während des Schreibens einen eigenen Weg, den ich so nicht geplant hatte. Literarisches Schreiben kann anstrengend sein, aber es gibt Autor*innen auch Einiges zurück. Glücksmomente gehören auf jeden Fall zum Schreiben dazu.

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