Stefanie Ericke-Keidtel im Interview: So schön kann die Buch-Branche sein
Von Christopher Lukman.
Stefanie Ericke-Keidtel ist vielseitig. Die selbstständige PR-Managerin und Literaturvermittlerin macht Öffentlichkeitsarbeit bei “mairisch”, einem Hamburger Indie-Verlag für Romane, Kinder- und Sachbücher, ist u.a. für das Kinder- und Jugendprogramm des “Harbour Front Literaturfestivals” zuständig und arbeitet für den Verein Seiteneinsteiger, der in Hamburg zahlreiche Leseförder-Projekte umsetzt. Seit dem Frühjahr 2018 ist sie auch für das neue Kinder- und Jugendprogramm des Literaturhauses Berlin zuständig. Im Rahmen eines Workshops der Übung “Germanistik im Beruf” zum Thema “Literaturvermittlung” hat Christopher Lukman mit ihr gesprochen.
Was antworten Sie selbst, wenn Sie nach Ihrer Berufsbezeichnung gefragt werden?
Stefanie Ericke-Keidtel: Was immer von mir verlangt wird. (lacht) Presse-Frau, Veranstalterin, Event Managerin: Hier im Workshop wurde ich als Literaturvermittlerin eingeladen, so nenne ich mich eigentlich nicht so häufig. Obwohl, doch, beim Standesamt!
In Ihrem kurzen Vortrag wurde bereits deutlich, welche Freude Sie an Ihrer Arbeit haben. Könnten Sie Ihren Arbeitsalltag noch einmal mit drei Wörtern zusammenfassen?
Ericke-Keidtel: (überlegt) “Vielseitig”. “Abwechslungsreich” – wobei das eigentlich dasselbe ist, also sage ich lieber: “erfüllend”. Und zuletzt noch: “schön”.
Das sind wirklich ausgezeichnete Antworten! Ich glaube auf diese drei Wörter wäre nicht jeder gekommen.
Ericke-Keidtel: Ja, das stimmt! Ich bin natürlich auch mal genervt und gestresst, insbesondere zu bestimmten Zeiten der Festival-Arbeit, und leider verdient man auch nicht so viel. Vor allem in der Kinderbuchbranche verdient man oft eigentlich so wenig, dass alle, die dort längerfristig arbeiten, mit purer Leidenschaft dabei sind. Und ich habe generell mit vielen netten und leidenschaftlichen Leuten zu tun. Das macht Spaß.
Bei mairisch ist die Atmosphäre wahrscheinlich auch viel netter als in der üblichen PR-Maschinerie.
Ericke-Keidtel: Genau, wir arbeiten auf einem persönlichen Niveau. Der Kontakt zwischen mir und meinen Kollegen ist sowieso freundschaftlich, aber auch mit Autoren und Journalisten arbeiten wir eng zusammen. Wir hatten letztens beispielsweise einen Autor, der normalerweise Drehbücher schreibt und nun erstmals ein Kinderbuch veröffentlichen wollte. Der kam zu uns und fühlte sich nahezu berauscht, weil er so verwundert darüber war, dass alle ihm gegenüber so freundlich waren – der war ganz anderes gewöhnt (lacht). Aber natürlich ist PR-Arbeit immer noch PR-Arbeit. Ich muss auch Rezensionsexemplare an Rezensenten schicken, die ich nicht kenne. Aber weil ich bereits fast 20 Jahre in der Branche bin, habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut, von dem ich profitieren kann.
Aber selbst wenn das Arbeitsklima im mairisch-Verlag sehr warm ist, gibt es doch bestimmt auch dort frustrierende oder ärgerliche Momente.
Ericke-Keidtel: Wenn man Öffentlichkeitsarbeit für einen kleinen Verlag macht, muss man sich darüber im Klaren sein, dass manchmal bei 80% der Arbeit nichts herumkommt. Viele Anfragen werden ignoriert, weil Journalisten heutzutage viel zu tun haben. Man kann sie nicht ständig anrufen, das nervt sonst grundlos. Es gibt eine kleine Chance, dass etwas gelesen wird, deshalb verschickt man die Bücher trotzdem – man sollte sich aber vorher gut überlegen, ob das Buch wirklich zu diesem Rezensenten oder der Rezensentin passt.
Kommen wir zu Ihrer Tätigkeit als Veranstalterin von Literaturfestivals. Auf wie vielen Festivals sind Sie im Jahr, und wann ist für Sie die stressigste Zeit im Jahr?
Ericke-Keidtel: In der Organisation bin ich bei zweien beschäftigt, dem “Harbour Front Literaturfestival” und dem “Lesefest Seiteneinsteiger”, bei dem wir allein 200 Veranstaltungen in knapp zehn Tagen veranstalten. Dann habe ich noch viele Eintagesveranstaltungen, von denen manche wie “Hamburgs BuchentdeckerTag” oder “Das Fest der kleinen Wichte” auch wiederum sehr groß sind. Ich gehe privat auch auf das ein oder andere Festival. Die stressigste Zeit im Jahr ist für mich der September und der Oktober, weil die beiden großen Festivals in dieser Zeit stattfinden. Aber auch Mai und Juni sind sehr anstrengend, da muss alles finalisiert werden, was das Programm angeht. Deswegen ist das die erste Hochzeit, die zweite sind die Festivals selbst. Das macht aber viel Spaß: Man ist immer voller Adrenalin, und die Zeit vergeht sehr schnell. Im November fällt man dann häufig in ein Loch. Jetzt habe ich glücklicherweise das Literaturhaus und kann mich auch in dieser Zeit gut beschäftigen. (lacht)
Bei einer Veranstaltung von so einer Größenordnung klappt wahrscheinlich nicht immer alles so, wie man es gern hätte. Können Sie uns von dem größten Unglück erzählen, das Sie mal erlebt haben? Und wie sind Sie dann damit umgegangen?
Ericke-Keidtel: Beim letzten Hamburger Lesefest Seiteneinsteiger im Herbst haben wir zum Beispiel viele Veranstaltungen mit Autoren aus Berlin gehabt. Während der Veranstaltung kam der Sturm Xavier, der die komplette Bahnstrecke Hamburg-Berlin über Tage lahmlegte, also kamen viele Autoren einfach nicht mehr weg. Dann mussten wir Hotels finden, aber weil ja so ziemlich jeder in Hamburg feststeckte, waren die meisten Hotels schon voll. Wir haben dann auch noch etwas gefunden. Zwei Autorinnen, die auch betroffen waren, mussten allerdings im selben Zimmer übernachten. Glücklicherweise kannten die sich. In solchen Momenten muss man einen kühlen Kopf bewahren. Solche kleinen Naturkatastrophen gibt es ja häufiger. Wenn sich so etwas anbahnt, hat man hoffentlich die Erfahrung, ruhig zu bleiben und kennt die richtigen Leute, die man um Hilfe bitten kann.
Weil Sie viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben – wie schätzen Sie das Interesse von jüngeren Leuten an Literatur heutzutage ein?
Ericke-Keidtel: Darüber könnte ich jetzt viele Stunden reden. Ja, wenige Jugendliche würden vermutlich bei ihren Hobbies an erster Stelle “Lesen” angeben, aber das war schon immer so. Ich glaube, es gibt immer eine bestimmte Gruppe von Kindern, von Menschen, die gerne liest. Heute kommt natürlich die Konkurrenz der anderen Medien dazu. Ich spüre eine gewisse Netflix-Abhängigkeit bei mir selbst, weswegen auch ich weniger lese als damals als Jugendliche. Andererseits können die neueren Medien den Autoren natürlich auch helfen. John Green hat beispielsweise YouTube-Videos mit Millionen Klicks. Der Jugend- und Kinderbuchmarkt ist hierbei wichtig und wächst stetig weiter, das liegt auch an solchen All-Age-Titeln wie denen von Green, an Harry Potter oder Die Tribute von Panem. Ich bin sicher, es wird diese Gruppe an jungen und begeisterten Lesern immer geben, da bin ich total optimistisch, nur wird diese noch umkämpfter als früher sein. Und gleichzeitig zeigen sich große Schwächen in der Lesekompetenz vieler Kinder, das sehe ich als große Aufgabe, auch der Politik, sich diesem Thema noch viel mehr zu widmen.
Übernehmen die größer dimensionierten Events vielleicht die Aufgabe, auch der neuen Generation die Freude am Lesen zu vermitteln? Haben wir für Lesungen nicht alle eine schon viel zu niedrige Aufmerksamkeitsschwelle?
Ericke-Keidtel: Gute Kinderveranstaltungen kriegt man eigentlich immer gefüllt, ab dreizehn oder vierzehn Jahren wird es schwer. Das hat mit der Schule zu tun. Lehrpläne werden durch den Wechsel von G9 auf G8 voller, weswegen die Kinder in Hamburg und Berlin nachmittags bis um vier Unterricht haben. Da würde ich auch nicht mehr auf Lesungen gehen, die ja tatsächlich manchmal ziemlich langweilig sein können. Ich denke, es stimmt, dass die Aufmerksamkeitsschwelle sich bei vielen – übrigens auch Erwachsenen – gesenkt hat und wir deshalb mehr von anderen Medien Gebrauch machen. Lesungen müssen ja nicht immer “Wasserglas-Lesungen” sein, sondern können beispielsweise Musik einbinden oder interaktiv sein. Das ist zwar auch eine Kostenfrage, aber es funktioniert meistens gut. Wir haben letztes Jahr eine Reihe gestartet, bei der u.a. Anna Depenbusch und Hannes Wittmer zu Gast waren, junge Musiker mit ganz poetischen Texten. Die haben gespielt und über ihre Texte gesprochen. Ein grandioser Abend!
Die vorletzte Frage stelle ich aus persönlichem Anlass. Ich bin jetzt 24, mache erst nächstes Jahr meinen Abschluss, werde danach wahrscheinlich noch ein paar Praktika machen müssen, um dann irgendwann mal in einer fernen Zukunft mit meiner Arbeit wirklich Geld zu verdienen. Ich frag mich, wann ich in der Lage sein werde, mir eine schöne Wohnung mit schönen Möbeln zu leisten. Wann haben Sie das Gefühl bekommen, angemessen bezahlt zu werden und sich ein angenehmes Leben davon finanzieren zu können?
Ericke-Keidtel: Das dauert wirklich lange. Mir geht es zwar gut, aber ganz zufriedenstellend ist meine finanzielle Lage bis heute nicht. Mein Mann ist Schriftsteller und hat also auch kein festes Einkommen, also ist man etwas nervöser. Ich bin seit 2001 in der Branche, und die ersten Jahre habe ich auch sehr wenig verdient. Da gab es schon mal Momente, in denen ich überlegt habe, zum Beispiel eher PR für ein großes Unternehmen zu machen und dort besser zu verdienen. Andererseits habe ich Flexibilität schätzen gelernt, denn für unsere Kinder da sein zu können, ist mir viel wert. Und die Vielseitigkeit, und auch die Sinnhaftigkeit, die ich jetzt erlebe, ist mit Geld eben auch kaum aufzuwiegen. Für Ihre Zukunft sage ich: Das wird schon alles werden, wenn Sie diese Arbeit wirklich machen wollen. Jedenfalls trifft auch für den Literaturbetrieb zu, dass es die Gelder oft gibt, nur muss man an sie herankommen. Man muss lernen, die Initiative zu ergreifen und seine Nische zu finden.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, am Workshop teilzunehmen und sich ausfragen zu lassen! Erlauben Sie noch eine Frage: Wohin geht Ihre berufliche Reise noch?
Ericke-Keidtel: Im Moment hoffe ich, dass es so weiter geht wie bisher. Mir macht die internationale Festivalarbeit viel Spaß, der mairisch Verlag ist toll, die Arbeit in der Leseförderung ist wichtig und spannend. Und im Literaturhaus Berlin kann sich etwas Tolles entwickeln, wir arbeiten daran, dort ein ganz neues Kinder- und Jugendprogramm zu gestalten, und ein jüngeres und breiteres Publikum anzusprechen. Was meine derzeitige Lebenssituation angeht: So wie es jetzt ist, find ich es schön!
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