Sven Lohmeier im Interview: “Qualifizierte Leute wachsen nicht auf Bäumen”

Sven Lohmeier meint, man müsse kein Informatiker sein, um im E-Commerce zu starten. (Foto: Carsten Vogel).

Von Hannah Matuschek.

Sven Lohmeier ist Abteilungsleiter für Enterprise Commerce bei der Digitalagentur hmmh. Er erzählt vom Berufseinstieg in die digitale Branche und erklärt, wie Geisteswissenschaften und E-Commerce zusammenpassen.

Sie sind Germanist und arbeiten jetzt im E-Commerce. Muss man dafür nicht Informatiker oder BWLer sein?

Sven Lohmeier: Nicht unbedingt. Die Arbeitgeber*innen werden immer aufgeschlossener. Durch die Digitalisierung entstehen nach und nach neue Berufsfelder, in denen auch Geisteswissenschaftler*innen gebraucht werden. Viele große Unternehmen gucken ohnehin nicht auf das Fach, das man studiert hat, sondern legen in erster Linie Wert auf bestimmte Kompetenzen.

Keiner will einen Informatiker, der nur programmieren kann. Als Geisteswissenschaftler*in lernt man, Zusammenhänge zu erkennen und das große Ganze zu betrachten. Bei der Arbeit mit Informatiker*innen und BWLer*innen kann ich dann als Geisteswissenschaftler einen neuen Blickwinkel mit einbringen. Das ist wertvoll.

Welche Kompetenzen bringt man als Geisteswissenschaftler*in konkret mit?

Sven Lohmeier: Für Projekte muss man recherchieren und die Informationen richtig verwerten können. Um Kunden ein neues Konzept zu vermitteln, benötigt man gute rhetorische Fähigkeiten. Außerdem gehören Lesen und fehlerfreies, verständliches Schreiben dazu, was im Bereich Marketing, beim Erstellen eines Konzepts oder beim Texten für Social Media unerlässlich ist.

Als Informatiker*in zu sagen, dass man eine bestimmte Programmiersprache beherrscht, ist einfach. Aber wie stellt man als Geisteswissenschaftler*in seine Kompetenzen heraus? Lesen, Schreiben, Recherchieren – das können andere doch auch.

Sven Lohmeier: Das ist etwas schwieriger, stimmt. Auf jeden Fall sollte man deutlich machen, dass man sich für Digitalisierung interessiert und zum Beispiel durch einen eigenen Blog Erfahrungen gemacht hat. Die eben genannten Kompetenzen helfen vor allem, im Job weiterzukommen und gut zu argumentieren. Haben Sie erstmal den Fuß in der Tür und die Arbeitgeber sehen, dass Sie gute Konzepte schreiben oder gut vortragen, dann werden Sie wahrgenommen und wertgeschätzt. Qualifizierte Leute wachsen nicht auf Bäumen. 

Für den Berufseinstieg wird häufig viel Erfahrung vorausgesetzt. Das ist aber zeitlich und finanziell nicht immer so leicht mit dem Studium vereinbar. Muss man wirklich so viele Praktika gemacht haben, um als Bewerber*in eine Chance zu haben?

Sven Lohmeier: Um ein bisschen Praxiserfahrung kommt man nicht herum. Die muss aber nicht genau den Voraussetzungen entsprechen, die in einer Stellenausschreibung genannt werden. Die dort gesuchte Person ist sowieso immer 24, war schon ein Jahr im Ausland, hat nebenbei gearbeitet und spricht fünf Sprachen fließend. Das ist nur ein Idealbild, von dem man sich nicht abschrecken lassen sollte. 

Ist es denn in Ordnung, in einer Bewerbung zu thematisieren, dass man noch nicht so viel Erfahrung hat?

Sven Lohmeier: Die besten Bewerbungsschreiben sind die, die offen und ehrlich sind – in denen die Bewerber*innen sagen, was sie an dem Job interessiert, weswegen sie ihn haben möchten und was sie dafür qualifiziert. Wenn man noch nicht die nötige Erfahrung hat, kann man das durchaus mit einbringen, solange man authentisch bleibt. Im Bewerbungsgespräch tritt man dann auch sicherer und glaubhafter auf. Man kann relativ schnell herausfinden, ob jemand nur vorgibt, sich für E-Commerce zu interessieren.

Bleibt man bei den vielen neuen Aufgaben immer selbstsicher?  

Sven Lohmeier: Selbstvertrauen muss man entwickeln. Wenn man sich in etwas einarbeiten soll, heißt das, dass einem etwas zugetraut wird. Und wenn man wiederholt gefragt wird, bedeutet es, dass man gute Arbeit leistet. Dadurch baut sich das Selbstbewusstsein auf. Allerdings ist man bei Projekten auch selten alleine, und bei uns in der Firma gibt es immer hilfsbereite Kolleg*innen, die man fragen kann. Und irgendwann ist es dann Arbeitsalltag, sich in neue Themen einzuarbeiten. 

Ihr Unternehmen hmmh macht nicht nur E-Commerce, sondern auch Connected Commerce. Wo ist da der Unterschied?

Sven Lohmeier: Beim Connected Commerce geht es darum, verschiedene Kanäle – online und offline – miteinander zu verbinden. Zum Beispiel so, dass man Produkte online bestellen und im Laden abholen kann. Dadurch soll ein Mehrwert entstehen. Das ist auch logistisch eine größere Herausforderung als reiner E-Commerce.

Man hört manchmal, dass Läden durch ihre eigenen Online-Shops „kannibalisiert“ werden. Ist das tatsächlich ein Problem? Schaden sich Verkäufer mit Online-Shops selbst?

Sven Lohmeier: Das kann schon ein Problem sein, aber man kommt heutzutage trotzdem nicht mehr am Online-Shop vorbei. Mein Sohn ist 15 und kauft nur noch online ein. Das Wichtigste ist, die verschiedenen Kanäle geschickt miteinander zu verknüpfen. Solange Läden durch persönliche Beratung einen Mehrwert bieten – zum Beispiel beim Kauf einer Jeans-Hose – wird beides nebeneinander funktionieren. Ansonsten kann ich die Jeans auch direkt online bestellen.

Wollen Kunden häufig, dass ein Online-Shop „wie Amazon“ aussieht?

Sven Lohmeier: Manchmal. Amazon war da natürlich stilbildend. Grundsätzlich muss sich aber bewusst machen, dass es sehr aufwändig ist, einen Online-Shop zu konzipieren: Die grafische Gestaltung muss dabei genauso stimmen, wie die Customer Journey – also die Klickpfade, die ein Kunde durchläuft, bevor er sich für den Kauf eines Produktes entscheidet. Das wird mit Analysemethoden wie Eyetracking untersucht.

Gerade bei Online-Shops spielt das Sammeln von Daten eine große Rolle, um Kunden gezielt anzusprechen. Als Kunde ist man davon allerdings nicht immer begeistert. Wie sehen Sie das?

Sven Lohmeier: Ich habe ein gemischtes Verhältnis dazu. Personalisierte Werbung ist immer ein Ergebnis dessen, was ich selbst von mir preisgebe. Der beste Weg ist, sich bewusst zu überlegen, wem ich meine Daten gebe. Das gilt für den Kunden im Online-Shop genauso wie für Nutzer*innen sozialer Netzwerke wie Facebook. Ich selbst achte darauf die Kontrolle darüber zu behalten, wo ich einkaufe und was ich poste.