Von der Studentin zur Gründerin: Alina Hemmer über die Rolle der Linguistik in IT-Unternehmen

Alina Hemmer erläutert, welche Kompetenzen man in ihrem Berufsfeld braucht (Foto: Carsten Vogel).

Von Charlotte Hauck und Leonard Mohr.

Alina Hemmer hätte sich durchaus vorstellen können, Lehrerin zu werden. Immerhin studiert sie zunächst Deutsch und Latein auf Lehramt. „Aber ich wollte dann doch nicht mein ganzes Leben in der Schule verbringen“, sagt sie. Also entschließt sie sich, nach dem Master of Education im Fach Deutsch den Master of Arts „Angewandte Sprachwissenschaft” anzuschließen und direkt danach ein Start-up zu generativer KI zu gründen. Im Workshop „Germanistik im Beruf“ erläutert sie, wie sie Linguistin und Geschäftsführerin geworden ist. 

Während des Studiums ist Hemmer als Tutorin und studentische Hilfskraft in der Sprachwissenschaft am Germanistischen Institut der Universität Münster tätig. Nebenher arbeitet sie als Werkstudentin im Bereich „Conversational AI” zur Generierung von KI-Trainingsdaten. „Dabei wurde mir klar, dass die Linguistik zur Weiterentwicklung von KI einen echten Beitrag leisten kann.” Dass sie jedoch einmal Mitbegründerin eines IT-Unternehmens sein würde, hätte sie nicht gedacht. Im Juli 2021 gründet sie mit dem Wirtschaftsinformatiker Tobias Zimmermann „colloc.AI”, ein Start-up, das zu Conversational AI-Lösungen Beratung anbietet. Es geht darum, mit Chatbots eine möglichst natürlich wirkende und effiziente Interaktion zwischen Unternehmen und deren Kund:innen zu entwickeln.

Hemmers Aufgaben bei colloc.AI liegen unter anderem im Projektmanagement und in der linguistischen Auswertung von Daten. „Dabei greife ich auf Methoden und Kompetenzen zurück, die ich im germanistischen Studium kennengelernt habe, vor allem auf die Analyse sprachlicher Strukturen. Aber in meiner Arbeit muss man auch den jeweiligen technischen Kenntnisstand von Kund:innen berücksichtigen und dementsprechend adressatenorientiert kommunizieren können.” 

Hemmer stellt ihr Start-up colloc.AI vor (Foto: Carsten Vogel).

Sprachwissenschaft und Künstliche Intelligenz

Sich als Linguistin mit informationstechnologischen Inhalten und zugleich mit Fragen der Firmengründung zu befassen, beschreibt Hemmer als herausfordernd. „Ich bin da ja auch erst reingewachsen. Und das REACH hat sehr dabei geholfen, diese Herausforderungen zu bewältigen.” Das REACH Start-up-Center möchte Studierende zur Gründung einer eigenen Firma motivieren. Es bietet schon während der Studienzeit Beratung an und unterstützt zudem die Gründungsphase. Grundsätzlich empfiehlt Hemmer, keine Angst davor zu haben, ein eigenes Start-up in Angriff zu nehmen. „Es gibt nichts, was man sich nicht auch nachträglich aneignen kann. In meinem Fall hat jedoch eine gewisse Technikaffinität geholfen.”

Den Namen „colloc.AI” hat Hemmer selbst kreiert. Die Bezeichnung setzt sich aus colloqui (lat. für reden, kommunizieren) und AI (Artificial Intelligence) zusammen. Der Name soll auch die Einzigartigkeit des Unternehmens spiegeln, das geisteswissenschaftliche Kompetenzen mit denen der Informatik verknüpft. In diesem Zusammenhang plädiert Hemmer für eine Erweiterung des linguistischen Kompetenzbereichs. „Wir brauchen zunächst einmal ein Grundverständnis dafür, wie Sprachmodelle bei KI funktionieren. Erst dann können wir als Linguist:innen einen Beitrag in IT-Unternehmen leisten.” 

Die Uni bleibt beruflich im Blick

Darüber hinaus bietet colloc.AI auch Lehrenden und Studierenden eine KI-basierte Chat-Anwendung an. Tutor.AI wurde in Kooperation mit der Uni Münster entwickelt und wird dort gerade in kleinem Rahmen getestet. Lehrende speisen Tutor.AI mit ihrem Kursmaterial, sodass die Studierenden später spezifische Fragen an die KI stellen können. Der Vorteil ist also, dass bekannt ist, wo das Wissen für die Antworten herkommt, was bei Sprachmodellen wie ChatGPT nicht der Fall ist. Ein weiterer Vorteil liegt im Datenschutz, weil die Software auf Uni-Servern läuft. 

Der Uni bleibt Hemmer auch auf andere Weise verbunden. Sie ist nämlich nicht nur Geschäftsführerin bei colloc.AI, sondern arbeitet auch als Projektmitarbeiterin an der Universität Hamburg. Bei dem Projekt Text+ geht es unter anderem um die Transkription gesprochener Sprache mithilfe von KI. „Der Job an der Uni ist mein zweites finanzielles Standbein. Außerdem muss ich nicht vor Ort arbeiten und habe flexible Arbeitszeiten. Das alles ist wichtig für meine Work-Life-Balance.”