„Keine Diversität, sondern Normalität“: Deniz Elbir über Integration als Beruf
Von Felix Kemmer und Mareike Langenberg.
Dass Deniz Elbir einmal im öffentlichen Dienst arbeiten würde, damit hat der gebürtige Neusser selbst nicht gerechnet. Er hat auch einige Umwege nehmen müssen, bis es ihn in das Rathaus seiner Heimatstadt führte. Sein Aufgabenfeld dort hat vor allem mit dem Thema Integration zu tun. Elbir ist Feuer und Flamme für seinen Job: Im Workshop “Germanistik im Beruf” schwärmt er derart humorvoll und gewitzt von seiner Tätigkeit, dass es so gar nicht zum Klischee eines Behördenbediensteten passt.
Eine seiner Stationen nach dem Studium der Germanistik und Kommunikationswissenschaften in Düsseldorf führt ihn zunächst zu einem lokalen TV-Sender. “Ein Sprung ins kalte Wasser”, erinnert sich Elbir: “Denn ohne große Erfahrung musste ich am dritten Tag live von einer Autobahn-Vollsperrung berichten. Danach war mir klar: Medien ja, aber nur hinter der Kamera.”
Von der Redaktion zur Integration
Es folgen drei Jahre als Projektassistent in der Online-Redaktion des Grimme-Instituts. Danach absolviert Elbir ein Volontariat für digitale Kommunikation bei der Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Dort macht er viele prägende Erfahrungen. Unter anderem stellt sich ihm die zentrale Frage: “Warum gibt es Museumsführungen auf Deutsch, Französisch oder Englisch, nicht aber auf Arabisch, Persisch oder Türkisch? Diese sprachliche Vielfalt spiegelt schließlich auch die Demografie Deutschlands.” Die Herausforderung, kulturelle Einrichtungen diversitätsorientiert zu öffnen, beschäftigt Elbir auch später als Interkulturbeauftragter der Stadt Neuss, der letzten Station vor seiner heutigen Tätigkeit.
2021 ernennt ihn der Neusser Bürgermeister Reiner Breuer zum Beauftragten für Diversität, Integration und Antirassismus bei der Stadtverwaltung. “Ich selbst verstehe mich als Akteur kultureller Bildung”, sagt Elbir und erläutert: “In erster Linie organisiere und koordiniere ich die Vernetzung von Migrant:innenorganisationen, Künstler:innen, Kulturschaffenden und kommunalen Akteur:innen.” Konkret geht es darum, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zum Beispiel bei Konzerten oder Kunstausstellungen von vornherein einzubinden, um auf diese Art strukturelle Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen.
Zwischen Wissenschaft und Praxis
2014 schließt Elbir sein Studium ab. “In meiner Brust schlagen quasi zwei Herzen: Einerseits habe ich im Germanistik-Studium gelernt, in klaren Strukturen zu denken – das ist absolut hilfreich für meine tägliche Arbeit. Andererseits habe ich ebenso gelernt, dass ich in der Umsetzung von geplanten Projekten häufig spontan umdenken muss.” Denn auch in seiner Tätigkeit in Neuss muss Elbir oft neu ansetzen, weil es keinen Bauplan dafür gibt, gesellschaftlich und kulturell marginalisierte Gruppen gleichzustellen.
“Trotzdem fühle ich mich manchmal selbst wie ein Laie”, sagt er etwas kokettierend. Ab und an gibt es Situationen, in denen er sich fragt, wie er den vielfältigen Anforderungen seiner Aufgaben noch besser gerecht werden kann. Gerade deshalb ist Elbirs Expertise auch außerhalb der Neusser Stadtgrenzen gefragt. Bundesweit berät er kulturelle Einrichtungen und Institutionen zum Thema Teilhabe Zugewanderter. Wie eng allein die Geschichte seiner Heimatstadt selbst schon mit Migration zusammenhängt, erläutert Elbir am Schluss mit Blick auf die römische Stadtgeschichte: “Der erste Neusser war ein Nordafrikaner.”
“Neuss hat Vorbildcharakter!”: Vier Fragen an Deniz Elbir
Sie sind Beauftragter für Diversität, Integration und Antirassismus der Stadt Neuss. Inwiefern ist ein solches Amt gerade für Neuss wichtig?
Deniz Elbir: Naja, von den über 150.000 Einwohner:innen der Stadt haben ungefähr ein Drittel eine Zuwanderungsgeschichte. Da liegt es einfach nahe, Diversität auf die politische Tagesordnung zu setzen und möglichst strukturiert Integrationsprozesse in Gang zu bringen. Mittlerweile nehmen wir damit sogar eine Vorreiterrolle ein! Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Neue Deutsche Stadtgesellschaft“, das seit 2017 ein derart großes Echo gefunden hat, dass ich die Diversitätskonzepte des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW und des Städtetags NRW mitgestalten durfte. Darauf bin ich sehr stolz.
Welche Herausforderungen kamen im Zuge der ukrainischen Fluchtbewegungen auf die Stadt Neuss zu?
Deniz Elbir: Ukrainische Geflüchtete wurden in Neuss gut aufgenommen. Die absolute Mehrzahl der über 1600 Menschen sind privat untergekommen, was uns natürlich gefreut und unsere Arbeit ungemein entlastet hat. Gleichzeitig sehe ich, dass ukrainische Geflüchtete vom Gesetzgeber in Deutschland anders behandelt werden als beispielsweise syrische. Für Menschen aus der Ukraine gab es sofort eine Vielzahl von Angeboten. Zugleich erhielten sie eine zweijährige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Man könnte natürlich auch sagen, dass die Netzwerke der letzten Flüchtlingskrise schnell aktiviert wurden und das Wissen aus der Vergangenheit erfolgreich angewendet und gleichzeitig Defizite vermieden werden konnten Vergleichbares gibt es für syrische Geflüchtete bis heute nicht. Solche Ungerechtigkeiten anzugehen, ist mir ein großes Anliegen.
Was qualifiziert Sie besonders für Ihren Job?
Deniz Elbir: Als Sohn kurdischer Eltern in Deutschland habe ich früh gelernt, soziale Codes zu entschlüsseln und so für meine Eltern Brücken zwischen zwei Kulturen zu bauen. So bin ich von Kind auf für das Thema Diversität sensibilisiert worden. Das hilft mir, mich in Menschen hineinzuversetzen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Können Sie sich vorstellen, noch einmal an die Universität zurückzukehren?
Deniz Elbir: Auf jeden Fall. Nachdem ich 2014 meinen Abschluss im Fach Germanistik in Düsseldorf gemacht habe, hatte ich fest vor zu promovieren. Dann kam erst einmal alles anders. Ich habe den Universitätsbetrieb allerdings immer als angenehm wahrgenommen und möchte mir eine mögliche Rückkehr weiterhin offenhalten.
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