,,Ich war ein Nerd“ – Netaya Lotze über Sprachwissenschaft und KI

Von Alina Hastenrath und Philipp Vincent Malessa.
Mensch oder Maschine? Mensch mit Maschine? „Moderne Technologie ist sehr präsent in unserem Alltag. Das kann ein Segen sein – oder ein Fluch“, sagt Netaya Lotze. In einem Video-Call spricht sie lebhaft über das Thema ihrer Forschung: Künstliche Intelligenz (KI) und Sprachwissenschaft. Wenn sie dabei in Fahrt kommt, ist sie kaum noch zu bremsen. „Vor kurzem gab es in der Sprachwissenschaft kein großes Interesse an KI. Es wurde als Spezialthema für Nerds angesehen. Jetzt interessiert es alle, und ich bin quasi über Nacht Pionierin geworden”, sagt Lotze weiter. Ihre Begeisterungsfähigkeit steckt an – obwohl sie nur über einen Bildschirm zu sehen ist.
Netaya Lotze ist als akademische Oberrätin am Germanistischen Institut der Uni Münster tätig. Studiert hat sie Germanistik und Philosophie auf Lehramt an der Leibniz Universität Hannover. Trotz des ersten Staatsexamens im Jahr 2006 und der daran anschließenden zweijährigen Lehrtätigkeit im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF), entscheidet sie sich für die Promotion über Chatbots in der germanistischen Linguistik. „DaF zu unterrichten, war für mich eher ein Brotjob und ein Sicherheitsnetz”, sagt Lotze augenzwinkernd. „Das Referendariat habe ich nie gemacht.”
Mit Chatbots ans MIT
Die ersten hochentwickelten Chatbots kamen in den frühen 2010er Jahren auf. Zeitgleich etablierten sie sich als Gegenstand der sprachwissenschaftlichen Forschung. Lotze war sofort an dem Thema interessiert, auch ihre spätere Dissertation beschäftigt sich damit. „Mich interessiert an Chatbots vor allem, wie sie die Kommunikation verändern. Was macht das mit uns, wenn wir mit KI interagieren?”
Seit 2015, ein Jahr nach ihrer Promotion, arbeitet Lotze am Germanistischen Institut, wo sie die Arbeitsgruppe „KI + Sprache“ mitgründet. Außerdem hat sie mit dem renommierten MIT zusammengearbeitet und wurde in das Forschungsnetzwerk „LITHME“ aufgenommen, unter dessen Dach Linguist:innen und Informatiker:innen aus allen Staaten der EU die Interaktion mit Maschinen erforschen. Nicht zuletzt dadurch erfährt Lotze international als Forscherin viel Anerkennung.
Zwischen Informatik und Geisteswissenschaften
Lotze ist der Ansicht, dass sich die Geisteswissenschaften im Zeitalter von KI neu ausrichten müssen. „So wie unsere Fachdisziplinen im Moment aufgestellt sind, kommen wir nicht weiter. Man muss sich stärker zwischen Geisteswissenschaften und Informatik positionieren, und die Sprachwissenschaft kann dabei eine Brückenfunktion einnehmen.”
Allerdings setzt sich Lotze auch mit klassischen sprachwissenschaftlichen Themen auseinander. Zum Beispiel hat sie Nicknames sprachvergleichend analysiert und über das Interaktionsverhalten von Kindern gegenüber Spielzeug mit Sprachinterface publiziert. Neben der Forschung ist für sie die Lehre sehr wichtig: „Bei der Entwicklung eines Alphabetisierungsbots etwa hat mir die Expertise aus der DaF-Lehre sehr geholfen.” Auf viele Studierende wirken ihre Lehrveranstaltungen sehr inspirierend, beispielsweise auf Alina Hemmer, die gleich nach dem Studium ein Start-up gegründet hat und unter anderem KI-Anwendungen für Unternehmen entwickelt.
Allen, die Germanistik oder eine andere Geisteswissenschaft studieren, empfiehlt Lotze: „Behalten Sie ein offenes Mindset und entwickeln Sie eigene Visionen. Sie können diese technologische Umbruchszeit nutzen, um neue Diskussionen anzustoßen. Haben Sie Mut, ein Nerd zu sein – ich war es auch!”
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