“Einer der schönsten Berufe der Welt“: Vera Mütherig über Forschen und Lehren als Literaturwissenschaftlerin
Von Svenja Gerlach und Mette Siemering.
Erst die Frage nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) bringt Vera Mütherig während ihres Vortrags aus der Fassung. Kurze Zeit fehlen ihr die Worte, dann sagt sie: “Ich bin geschockt, wenn ich höre, wie wenig man in der Politik über den Alltag von Wissenschaftler:innen weiß und wie wenig unsere Arbeit wertgeschätzt wird!” Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl befindet Mütherig sich im Sommer 2023 noch in der Postdoc-Phase, die gerade erst im Zusammenhang mit einer Reform des WissZeitVGs gekürzt werden sollte.
Bis zu diesem Zeitpunkt ihres Germanistik-im-Beruf-Vortrags erläutert Mütherig sachlich und souverän die Schwerpunkte ihrer Forschung, zu denen Hörbücher, literaturwissenschaftliche Stimmanalysen sowie Autorinnen der Frühaufklärung gehören. Seit elf Jahren arbeitet sie am Germanistischen Institut der Uni Münster im Bereich Neuere deutsche Literatur. Nach ihrer Doktorarbeit über „Audiomediale Paratextualität: Rahmungsstrategien akustischer Literatur im Hörbuch“ schreibt sie nun an ihrer Habilitation über Satiren von Frauen, um sich anschließend damit auf eine Professur bewerben zu können.
Spagat zwischen Beruf und Familie
Neben der Forschung widmet sich Mütherig natürlich auch der Lehre. Zurzeit bietet sie im Rahmen ihrer Stelle am Lehrstuhl von Britta Herrmann zwei Lehrveranstaltungen pro Semester an. “Am besten ist es, wenn sich Forschung und Lehre aufeinander beziehen”, sagt sie. “Manchmal entstehen aus meinem Schwerpunkt ‘Akustische Literatur’ auch Projekte wie zum Beispiel Wie klingt das Münster der Zukunft?”. In diesem Projekt haben Studierende im Wintersemester 2019/20 unter Anleitung von Mütherig und Herrmann typische Sounds der Stadt gesammelt und ‘futurisiert’. Entstanden sind 21 Klangorte zu 21 unterschiedlichen Zeiten, die man auf der Karte des heutigen Münster erkunden kann.
Der Alltag einer Wissenschaftler:in besteht aber nicht nur darin, an der Habilitationsschrift zu arbeiten oder Seminare vorzubereiten. „Zu meinem Alltag gehört auch die Mitarbeit am Lehrstuhl oder der Besuch wissenschaftlicher Tagungen. Außerdem bewerte ich Prüfungsleistungen und engagiere mich in der Akademischen Selbstverwaltung – beispielsweise war ich eine Zeitlang Mitglied des Fachbereitsrats.“ Seit einiger Zeit kommt für Mütherig noch eine weitere ‚Herausforderung‘ hinzu: „Als Mutter einer kleinen Tochter ist mein Alltag total durchgetaktet, das heißt, ich muss in- und auswendig wissen, wann ich wo sein muss. Zugleich ist Improvisation mein ständiger Begleiter.“ Improvisiert werden musste übrigens auch diesmal, denn eigentlich hätte Mütherig vor Ort sein sollen. Da jedoch ihre Tochter krank wurde, fand der Vortrag spontan per Zoom statt.
Sich als Frau in der Wissenschaft zu bewegen, sieht Mütherig grundsätzlich nicht als besonders schwierig an, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass sie bislang nur für Professorinnen gearbeitet habe. Spontan falle ihr nur ein Unterschied zu Männern ein: „Ich habe den Eindruck, dass bei Männern das Vernetzen viel besser klappt.“ Kopfzerbrechen bereitet ihr allenfalls die immer wieder aufkommende Diskussion um das WissZeitVG. Hier positioniert sie sich eindeutig: “Wir Mittelbauer müssten eigentlich viel lauter protestieren. Meine Erfahrung ist aber, dass die Herausforderungen der Qualifizierungsphase wenig Raum für politisches Engagement lassen.” Dennoch lässt sich Mütherig den Spaß an ihrer Arbeit nicht nehmen. „Trotz vieler Unsicherheiten ist es einer der tollsten und schönsten Berufe der Welt!“
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