„Think like a man!“ – Bettina Bergmann über ihre Tätigkeit als freie Lektorin

Von Sophie Kuhnekath.
Bettina Bergmann arbeitet seit 2018 als freie Lektorin und Übersetzerin und ist seit 2024 befristet im Herder Verlag angestellt. Im Interview berichtet sie über ihre Anfänge in der Freiberuflichkeit und die zunehmende Relevanz von künstlicher Intelligenz. Außerdem verrät sie, wie sie versucht, mit ihrem Imposter-Syndrom umzugehen.
Wie haben Sie Ihren Berufseinstieg ins freie Lektorat wahrgenommen, der ja sehr ungewöhnlich war?
Bettina Bergmann: Als krasse Achterbahnfahrt (lacht). Ich habe weder ein Volontariat gemacht noch während des Studiums in Verlagen hospitiert – das hat mich am Anfang durchaus verunsichert. Aber ich komme aus einem sehr feministischen Freundeskreis und meine Freundinnen haben gesagt: „Machs einfach – keine Ahnung haben, aber so tun als ob“ (lacht). Das war dann auch mein Mantra: Ich habe mir gesagt: Probieren geht immer. Auch mein Schwiegervater – früher Geschäftsführer bei größeren Unternehmen – hat mir einmal gesagt: „Ein Nein hast du schon, wenn du nicht fragst. Aber wenn du fragst, kannst du auch ein Ja bekommen. Du musst dich nur trauen.“ Und genau das habe ich gemacht.
Sie haben vor Ihrer Tätigkeit als Lektorin verschiedene Berufe ausprobiert. Wie sind Sie mit Rückschlägen und Existenzängsten umgegangen?
Bergmann: Es war hart. Ich wusste lange nicht, wie ich ticke – mentale Gesundheit stand damals noch nicht so im Fokus. Und das Imposter-Syndrom war schon immer mein ständiger Begleiter. Am Anfang habe ich viel ausprobiert, bin oft gescheitert und habe auch schon mal harsche Kritik bekommen – das hat mich regelmäßig umgehauen. Trotzdem bin ich jedes Mal wieder aufgestanden und habe weitergemacht. Heute kenne ich mich besser. Wenn es schwierig wird, rufe ich Freundinnen an, die mich erinnern: Du hast Bücher übersetzt, du arbeitest im Verlag, in der Politik. Also touch some ground. Viele Fehler entstehen nicht aus Unfähigkeit, sondern sind strukturell bedingt oder resultieren aus Überforderung. Fehler sind menschlich und dürfen auch passieren.
Wie unterscheidet sich Ihr Arbeitsalltag als Verlagslektorin von dem im freien Lektorat?
Bergmann: In beiden Fällen starte ich sehr früh – meistens zwischen 6 und 7 Uhr. Als freie Lektorin habe ich dabei mehr Zeit zur Verfügung, in der ich mich wirklich auf die eigentliche Textarbeit konzentrieren kann, weil ich nicht in einer permanenten Kommunikationsschleife hänge. Im Verlag hingegen ist mein Alltag sehr viel strukturierter: feste Termine, wiederkehrende Aufgaben wie Programmvorschau oder Messen, dazu verschiedene Arbeitskreise. Das gibt mir viel Halt und hat mir nach einer Phase der Überlastung, in der ich auf ein Burnout hingearbeitet habe, mental sehr gutgetan. Was ich jedoch manchmal vermisse, ist, selbst entscheiden zu können, welche Projekte ich verfolgen will. Ich betreue eben auch Bücher, die ich persönlich nicht lesen würde. Bei Herder habe ich aber viele Freiheiten – flexible Arbeitszeiten, kein Mikromanagement. Insofern ähneln sich beide Arbeitswelten mehr, als man vielleicht denkt.
Was hilft Ihnen heute, eine bessere Work-Life-Balance zu halten?
Bergmann: Zu Beginn musste ich erstmal durch ein Tal der Tränen gehen. Für mich war dann entscheidend, auf mein Umfeld zu hören: Wenn meine Freund:innen mir sagen, dass man sich kaum noch sieht – oder mein Partner mich fragt, warum ich nach 12 Stunden Arbeit noch am Laptop sitze –, ist das ein Warnsignal. In solchen Momenten muss man ganz schnell die Notbremse ziehen und sich fragen: Ist Geld wirklich wichtiger als meine Gesundheit? Und die Antwort ist: Nein, auch nicht in der Selbstständigkeit.

Wie wichtig ist Vernetzung in Ihrem Beruf?
Bergmann: Enorm wichtig – vor allem im Verlag. Netzwerke dienen dazu, kontinuierlich Ideen und potenzielle Multiplikator:innen einzubringen oder neue Autor:innen zu entdecken. Ohne Austausch ist das unmöglich. Es gehört zu meinem Alltag zu wissen: Wer schreibt gerade? Was könnte spannend werden? Netzwerke entstehen aber nicht über Nacht. Sie wachsen langsam und brauchen Pflege – sei es per WhatsApp, beim Kaffee oder im Gespräch mit Kolleg:innen. Manche Kontakte kommen und gehen, andere werden jedoch zu Schlüsselkontakten. Und um die muss man sich unbedingt kümmern.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in Ihrem Berufsalltag?
Bergmann: KI ist Fluch und Segen zugleich. Ich persönlich benutze sie im Verlag sehr intensiv – etwa bei strategischen Überlegungen, Titelfindungen oder Marketingtexten. Aber: Künstliche Intelligenz ersetzt nicht die Skills, die fachliche Kompetenz, die man haben muss. Vor allem nicht für literarisches Übersetzen – im Moment erkennt sie weder Kontext noch Nuancen. Für eine einfache, strukturierte Aufgabe ist sie aber hilfreich. Echte redaktionelle Arbeit bleibt jedoch menschlich.
Wie gehen Sie mit Ihrem Imposter-Syndrom um?
Bergmann: „Think like a man“ – das ist mein Leitsatz. Es gibt wahnsinnig viele Männer, die nicht die größte Expertise haben, aber unfassbar viel Selbstbewusstsein, um Dinge rüberzubringen. Diese Haltung fehlt uns Frauen oft, und dabei wäre sie so hilfreich. Es ist völlig okay, eigene Zweifel offen anzusprechen – das schafft Verbindung. Auch wenn die Ängste da sind: Ich mache Dinge einfach! Je öfter man sich traut, desto besser kann man seine eigenen Risiken einschätzen. Bei Vorträgen sage ich mir beispielsweise: Es ist nur eine Stunde meines Lebens. Morgen ist das wieder vorbei – und es wird etwas Neues kommen. Und das wird besser.
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