„Mein Ziel: Lernen zukunftsfähiger machen“ – Sprachwissenschaftlerin und Start-up-Gründerin Alina Hemmer im Interview

Alina Hemmer im Gespräch (Foto: Carsten Vogel).

Von Carolin Diekmann.

Alina Hemmer ist als Linguistin Geschäftsführerin des Start-ups colloc.AI, das sie mitgegründet hat. Im Interview spricht sie über die Relevanz der Linguistik für die KI-Forschung, aber auch über ihre Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg.

Inwiefern ist für Sie die Linguistik in der KI-Forschung wichtig?

Alina Hemmer: Linguistik ist vor allem für die sprachbasierte KI-Forschung relevant. Es ist doch naheliegend, dass Personen, die sich wissenschaftlich mit Sprache beschäftigen, auch zu technischen Sprachanwendungen etwas zu sagen haben! Aus linguistischer Perspektive ist es besonders wichtig, einschätzen zu können, welche Bias, also Voreingenommenheit, in so einem System steckt. Die Informationen erhalten die Systeme ja größtenteils aus dem Internet. Dort sind jedoch nicht alle Personengruppen und Ethnien gleichermaßen repräsentiert. Das führt dazu, dass bestimmte Inhalte immer wieder reproduziert werden. Aber genau das haben Sprachwissenschaftler:innen auf dem Schirm. 

Würden Sie sagen, dass Sie im Unternehmen als Linguistin eine Art Vermittlerrolle einnehmen?

Hemmer: Auf jeden Fall. Gerade im Bereich Development hat man es mit Beteiligten aus verschiedenen Fachrichtungen zu tun. Dazu kommen dann noch die Personen, die die Anwendungen nutzen. Zwischen diesen Gruppen zu vermitteln, das kann man als Linguistin – oder Germanistin – richtig gut, und zwar deshalb, weil man viel sensibler für Kommunikationsabläufe und unterschiedliche Perspektiven ist. Das Studium bereitet auf diese Rolle sehr gut vor. 

Welche Rolle spielt Interdisziplinarität in Ihrem Unternehmen – oder vielleicht auch schon im Studium?

Hemmer: Interdisziplinarität spielt in unserem Unternehmen tatsächlich eine große Rolle. Durch die fachübergreifende Zusammenarbeit entstehen viele Synergien, weil jeder Bereich sein eigenes Wissen und seine eigene Praxiserfahrung mitbringt. Grundsätzlich glaube ich, dass sowohl Studium als auch Unternehmenskultur in Zukunft viel stärker interdisziplinär oder sogar transdisziplinär ausgerichtet sein müssen. In Stellenausschreibungen geht es oft schon nicht mehr um das Fach, das man studiert hat, sondern um die gesuchte Expertise.

Mit Ihrem Start-up beraten Sie ja nicht nur Unternehmen, sondern Sie entwickeln mit Tutor.AI auch Anwendungen für die Uni. Kam Ihnen die Idee aufgrund Ihres Studiums? 

Hemmer: Ja, tatsächlich. Ich hatte nicht von Anfang an den Plan, in einem Unternehmen zu arbeiten und nie ein Praktikum in dieser Richtung gemacht. Mit Hochschulstrukturen bin ich nach wie vor vertrauter als mit der Welt der Wirtschaft. Deswegen bringen wir uns an der Universität ein. Wir möchten Studierenden helfen, indem wir versuchen, universitäres Lernen zukunftsfähiger zu machen.

Wo sehen Sie die KI-Technologie in den nächsten Jahren? 

Hemmer: Der Fortschritt der Technik in Sachen KI in den letzten Jahren war schon einzigartig. Es ist nicht zu erwarten, dass das in diesem Tempo weitergeht. Allerdings verkürzen sich die Zeitabstände, in denen sich technische Neuerungen durchsetzen. Im Augenblick geht es darum, die Anwendungsgebiete für KI zu erweitern. Ein Riesenthema ist außerdem, dass die Systeme derzeit noch enorme Stromfresser sind. Deshalb müssen sie kleiner und effizienter werden.

Neben der Arbeit als Geschäftsführerin sind Sie an der Uni Hamburg tätig. Macht es Ihnen Spaß, wieder wissenschaftlich zu arbeiten?

Hemmer: Natürlich! Der Bereich, in dem meine Chefin in Hamburg forscht, ist die gesprochene Sprache. Das heißt, es muss viel transkribiert werden, was unglaublich zeitaufwendig, aber eine zentrale linguistische Aufgabe ist. Gerade teste ich ein Open-Source-Sprachmodell und beobachte, wie KI und linguistische Transkription ineinander greifen. Das finde ich spannend. Ich beschäftige mich also auch an der Uni mit KI, aber eben wissenschaftlich. Dadurch bleibe ich linguistisch auf dem Laufenden.