Zwischen Passion und Brotjob: Karosh Taha und Christoph Wenzel über literarisches Schreiben

Die zwei Autor*innen Karosh Taha und Christoph Wenzel geben exklusive Einblicke in ihre Schreibprozesse und den Literaturbetrieb (Foto: Carsten Vogel).

Von Julius Kuebart.

So unterschiedlich können Veranstaltungen sein. Bei der gemeinsamen abendlichen Lesung las Karosh Taha ausgewählte Passagen aus ihrem Roman Im Bauch der Königin vor, während Christoph Wenzel seine Gedichte spielerisch mit Anekdoten auflockerte.

Genau andersherum verhält es sich bei dem der Lesung vorangegangenen Workshop aus der Reihe Germanistik im Beruf. Geradezu gebannt folgen die Teilnehmer*innen hier einerseits dem narrativ verfassten Vortrag des Lyrikers Wenzel über seinen künstlerischen Werdegang zum preisgekrönten Lyriker. Taha andererseits spricht frei über ihre Zeit als Lehrerin und ihr Leben als Literatin. Die beruflichen Schwerpunkte der zwei Gäste deuten bereits auf das Thema des Workshops hin: “(Literarisches) Schreiben”. Die zwei Autor*innen geben dabei exklusive Einblicke in ihre Schreibprozesse, den Literaturbetrieb und die übergeordnete, existenzielle Frage, ob und wie man vom Schreiben leben kann. Allen anwesenden Zuhörer*innen ist dabei die Freude darüber anzumerken, wieder gemeinsam in einem großen Seminarraum sitzen zu können.

(Vorläufige) Absicherung als Gemeinsamkeit

Verdient man als Autor*in überhaupt Geld? Karosh Tahas Berufsleben ist zunächst durch das Studium der Fächer Englisch und Geschichte auf das Lehramt ausgerichtet. Obwohl sie das Referendariat absolviert, bleibt ihr eigentliches Berufsziel ein anderes: “In erster Linie wollte ich immer Schriftstellerin werden. Die Arbeit an der Schule war für mich deshalb nur ein Brotjob.” Und auch Christoph Wenzel möchte sich nach seinem Studium der Germanistik und Anglistik absichern. Anstatt sich primär seiner eigentlichen Leidenschaft für Lyrik zu widmen, nimmt er eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen an. Ist literarisches Schreiben demnach tatsächlich nur eine “brotlose Kunst”?

Ganz im Gegenteil: Karosh Taha ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht so sein muss. Nach ihrem 2018 erschienenen preisgekrönten Debütroman Beschreibung einer Krabbenwanderung kann sie es sich leisten, den Lehrerinnenberuf aufzugeben, um sich ganz dem Schreiben zuzuwenden. Taha ist allerdings bewusst, dass ihr Erfolg eher Ausnahme als Regel im Literaturbetrieb darstellt: „Dass ich von meinem Schreiben leben kann, ist krasser Luxus. Ohne Brotjob kommen die wenigsten meiner Kolleg*innen aus.”

Kritik am Literaturbetrieb

Diese Regel betrifft auch Christoph Wenzel – zumal Lyrik sich schlechter verkauft als Romane. „Ein fehlendes Einkommen würde mich in meiner Kreativität beim Schreiben lähmen“, sagt er ernst, auch wenn er dadurch weniger Zeit fürs Schreiben hat. Mittlerweile hofft er durchaus, vom Schreiben und von seinen anderen Tätigkeiten im Literaturbetrieb (Veröffentlichen, Lesen, Herausgeben, Redigieren, Moderieren etc.) leben zu können. Um auf das für Schriftsteller*innen existenzielle Thema ‚Lebensunterhalt‘ aufmerksam zu machen, bringt Wenzel zusammen mit drei weiteren Herausgeber*innen im Herbst 2021 den Sammelband Brotjobs und Literatur heraus: „Es war einfach an der Zeit, mit diesen Problemen mal an die Öffentlichkeit zu gehen“.

Trotz aller Unterschiede sind sich die zwei Gäste jedoch in vielen Punkten einig. Beide betonen die Wichtigkeit von Stipendien, die Künstler*innen die nötige finanzielle Sicherheit verschaffen, um kreativ zu arbeiten. Darüber hinaus sind es neben Buchverkäufen vor allem Lesungen, die zum Einkommen beitragen. Gerade das Thema Finanzen interessiert die Teilnehmer*innen des Workshops. Auf Nachfrage gibt Wenzel 300 Euro exklusive Spesen als Mindesthonorar für eine Lesung an, während Taha betont: “Für unter 500 Euro würde ich mittlerweile nur noch bei ideellen Projekten mitwirken”. Beide kritisieren scharf den herrschenden Wettbewerbsdruck: Durch die ständige Konkurrenz und den fehlenden Einfluss gewerkschaftlicher Strukturen liefen Schriftsteller*innen permanent Gefahr, in einem „Unterbietungswettbewerb“ gegeneinander ausgespielt zu werden.

Liebe zum Schreiben

Als Fazit bleiben neben den detaillierten Erfahrungsberichten aus dem Literaturbetrieb Einblicke in persönliche Schreibprozesse. Beide Schriftsteller*innen treibt letztlich vor allem die Freude am Schreiben an. „Schreiben ist kräftezehrend, aber das Glück angesichts eines gelungenen Satzes gleicht vieles wieder aus”, sagt Taha. „Ich schreibe, weil ich es liebe, geschrieben zu haben“, fügt Wenzel hinzu. Während Wenzel allerdings seinen Uni-Job benötigt, um Gedichte schreiben zu können, fühlt Taha sich durch eine Festanstellung eher kreativ eingeschränkt.  Es handelt sich um ein grundsätzliches Dilemma: Man braucht ein einigermaßen sicheres Grundeinkommen, um keine finanziellen Ängste ausstehen zu müssen. Gleichzeitig schränkt ein Brotjob kreativ ein, da er Zeit und kognitive Ressourcen raubt.

Gemeinsam ist beiden die Leidenschaft, mit der sie über ihr Schreiben berichten: für die Teilnehmer*innen Inspiration und Motivation zugleich. Den Studierenden der Germanistik zeigt dies, dass es mehr als nur eine berufliche Perspektive geben kann. Auch wenn eine zusätzliche finanzielle Absicherung manchmal ratsam erscheint…