Kathrin Kunkel-Razum im Interview: „Das Thema Sprache interessiert die Leute“

Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Wörterbuchredaktion beim Dudenverlag, im Zoom-Interview (Foto: Carsten Vogel).

Von Katharina Rösner.

Kathrin Kunkel-Razum ist seit 2016 Leiterin der Wörterbuchredaktion beim Dudenverlag. Sie studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Leipzig und ist eine gefragte Interviewpartnerin zum Thema Sprache. Mit Katharina Rösner spricht sie über Gendern, Anglizismen und Digitalisierung. 

Interessieren sich Menschen im Zeitalter der Digitalisierung überhaupt noch für ein gedrucktes Wörterbuch? 

Kunkel-Razum: Die Menschen interessieren sich auf jeden Fall für ihre Sprache, deshalb verkauft sich das Wörterbuch immer noch sehr solide. Wir merken es auch daran, dass Leute auf Veränderungen in den Neuauflagen des Rechtschreibdudens empfindlich reagieren, uns kritisieren und Briefe schreiben. Durchaus auch politisch motivierte.

Was kritisieren die Leute denn an Ihrer Arbeit? 

Kunkel-Razum: Vor allem die Themen, die wir anders behandelt haben, als manche es gerne hätten. Viele E-Mails sind nicht gerade freundlich. Als wir zum Beispiel neben der bekannten Form „dieses Jahres“ die neuere Form „diesen Jahres“ anerkannt haben, gab es einen Riesenaufschrei. 

Gibt es bestimmte Aufregerthemen?

Kunkel-Razum: Als wir 1996 die Rechtschreibreform umgesetzt haben, gab es sehr viele Beschwerden und Fragen. Das war der völlige Wahnwitz! Nur die Rückmeldungen zur gendergerechten Sprache haben diese Aufregung noch übertroffen. Und was viele ebenso seit Jahren umtreibt, sind die Anglizismen. 

Wie stehen Sie denn zu Anglizismen?

Kunkel-Razum: Man muss zwischen Sprachgebrauch und Sprachsystem unterscheiden. Das deutsche Sprachsystem kann Fremdwörter so integrieren, dass sie als solche gar nicht mehr erkennbar sind. Anglizismen gehören zum Sprachwandel dazu, auch wenn es nicht alle in den Rechtschreibduden schaffen. Im Sprachgebrauch aber sollte man darauf achten, dass Anglizismen nicht überhandnehmen.

Glauben Sie, dass sich die gendergerechte Sprache durchsetzen kann? 

Kunkel-Razum: Mein Eindruck ist, dass seit einem Dreivierteljahr etwas Ruhe in Bezug auf das Gendern eingekehrt ist. Die Diskussion verlässt langsam das akademische Umfeld. Inzwischen halte ich auch in privaten Unternehmen Vorträge darüber. Überraschenderweise habe ich sogar eine Anfrage vom ZDF bekommen, um die Mitarbeiter*innen über gendergerechten Sprachgebrauch zu informieren. Das ZDF verspricht sich davon einen ökonomischen Nutzen. Es geht ja darum, neue Werbeträger und Zuschauer*innen zu gewinnen.

Wirkt sich die Digitalisierung auf Ihre Arbeit aus? 

Kunkel-Razum: Ja, die Digitalisierung können wir nicht ignorieren. Wie gesagt, der Absatz des Wörterbuchs ist noch solide. Vor allem, weil die Schulen noch viele gedruckte Exemplare kaufen.  Wir können aber nicht sagen, wie es sein wird, wenn der digitale Umschwung auch dort ankommt. Gegebenenfalls müssten wir dann den ganzen Vertrieb in Richtung elektronische Produkte umstellen.

Bei der Erstellung des Dudens greifen wir schon lange auf ein elektronisches Textkorpus zurück. Seitdem gibt es deutlich mehr Material, das ausgewertet werden muss. Früher hatten wir drei Millionen Karteikarten, heute umfasst das Dudenkorpus 5,7 Milliarden Wortformen.  Dazu kommt, dass man heute noch weniger Zeit hat, eine neue Auflage des Dudenwörterbuchs herauszugeben. Man bräuchte für diese Arbeit eigentlich viel mehr Lexikograf*innen – also Personen, die wissen, wie man Wörterbücher erstellt. 

Hat die Digitalisierung Auswirkungen auf den Inhalt der Wörterbücher?

Kunkel-Razum: Durch die Digitalisierung kommen neue Wörter auf, die es ins Wörterbuch schaffen, zum Beispiel „whatsappen“. Eine andere Geschichte sind Kampagnen in sozialen Netzwerken. Einmal gab es das Hashtag #Dudenistschwul. Es ging darum, dass der Dudeneintrag „schwul“ als diskriminierend wahrgenommen wurde und das Stichwort entfernt werden sollte. In der Redaktion haben wir lange darüber beraten und schließlich den Eintrag um einen Hinweis ergänzt, dass „schwul“ auch als Schimpfwort missbraucht wird. Den ganzen Eintrag einfach zu entfernen, wäre in diesem Fall keine gute Lösung gewesen. 

Wir bedanken uns für das Interview!

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